Sterbende Organe pflegen, ehe sie ihre Tätigkeit einstellen, noch einmal krampfhaft zu arbeiten; das sterbende Tier wälzt sich in konvulsivischen Zuckungen; der sterbende Mensch schreit noch einmal aus Leibeskräften, der geköpfte Vogel rast nach dem tödlichen Schnitt des Schlächters dahin. So flackert auch der ersterbende Geschlechtstrieb noch einmal vor dem Er- löschen au£ Man nennt dieses Aufflackern des Geschlechtstriebes vor dem Finale den Johannistrieb, denn so bezeichnen die Gärtner die Triebe, die die Pflanzen zu Johanni gegen Ende des Sommers treiben. Die schwedische Schriftstellerin Karin Michaelis hat diese Epoche durch ein seinerzeit berühmtes Buch als "das gefährliche Alter" der Frau bezeichnet. Die Menschen dieses Alters fühlen, wie die Jugend ihnen entgleitet, und möchten doch, wie alle Kr eatur, das Leben noch in vollen Zügen kosten. Sie werden von einer Art Panik befallen und stürzen sich noch einmal in das Getümmel des Lebens, dem Tiere gleich, das sich vor der Pforte des Schlachthauses seinen Häschern entreisst und davonstürmt. Ueberall, wo das Leben genossen wird, kann man solche Spätlinge sehen: Halbgreise, gecken- haft gekleidet, mit gestutzten Haaren und den affektierten Allüren des noch jugendlichen Kavaliers; alternde Frauen, die sich wie restaurierte Ruinen zur Schau stellen, die Risse des Gemäuers mit Schminke vergipst und übertüncht, und durch besonders tiefen Ausschnitt die kümmerlichen Reste ihrer einstigen Reize ent- hüllend, um zu zeigen, dass sie noch begehrenswert sind, und um vielleicht doch noch einen Liebhaber, einen letzten, zu locken. Die ostentativ geöffneten Lippen verraten den Durst nach Genuss, und aus den unruhigen Augen flackert die Gier, zu nehmen und noch einmal genommen zu werden. Diese Typen wirken meist komisch, und sie sind beliebte Figuren für Witzblatt und Bühne, aber ihre Rolle ist zugleich tragisch. Auch sie sind das Opfer falscher Erziehung und verkehrter Lebensgestaltung. Wer sein Leben zu nützen und zu geniessen gelernt hat, wer jeder Phase den rechten Inhalt zu geben wusste, als Mann auf Leistungen, als Frau auf eine Schar wohlgeratener Kinder blicken kann, und dessen Gegenwart von Arbeit und von Glück erfüllt ist, für den ist Johanni nicht die Zeit "geiler Triebe", so ndern eben die Erntehöhe seines Daseins, der "August", der Glücksmonat seines Lebens. Er blickt nicht vor sich auf das nahende Alter, sondern um sich und zurück, und wenn er es auch nicht zu zitieren weiss, so indet er es doch, das Glück des schauenden Türmers: "Ihr glücklichen Augen, Was je ihr geseh'n, Es sei, wie es wolle, Es war doch so schön."