Die Arterienverkalkung.

So wie die "Blutdruckerhöhung" eigentlich keine Blutdruckerhöhung ist, sondern eine Zunahme der Wandspannung, so ist die "Arterienverkalkung" keine Verkalkung. Die Ader a der Abb. 187 ist in ihrem Hauptteil gesund. Ihre Wand ist glatt, ihr Querschnitt rund, in der Minute führt sie 100 g Blut in ein be- stimmtes Gebiet des Körpers. Auf der Innentapete dieser Ader erscheinen im Lauf der Jahre Flecke, die bisher glasklaren Zellen trüben sich, quellen und gehen zugrunde: es entsteht ein Geschwür in der Innenwand der Ader (x). Diese fleckenweise auftretenden Geschwüre an der Innenwand der Adern sind die eigentliche Erkrankung. Alle ferneren Erscheinungen sind Abwehrmaßnahmen und Heilungsprozesse gegen die Geschwürs- bildung. So wie man in einem Haus dort, wo Risse auftreten, Zement einschmiert, so wandern im Körper überall dort, wo Schäden entstehen, Bindegewebszellen ein, um das schadhafte Gewebe zu ersetzen. Daher werden alle kranken Teile des Körpers "dick". Alle Narben sind solche Bindegewebswucherungen zum Schutz gegen die Zerstörung von Gewebe. Um die Ader vor dem drohenden Durchbruch des Geschwürs zu schützen, wu- chert das- Bindegewebe zwischen den Muskelfasern und verdickt die Aderwand nach aussen und nach innen: das. Aderrohr wird härter und enger (b). Durch das verengte Rohr strömen nicht mehr 100, sondern nur noch 701 Blut in der Minute. Das Organ, z. B. die Niere, wird schlechter ernährt und schrumpft zur "Schrumpfniere" (8). Ebenso leidet das schlecht versorgte Hirn oder Herz. Hirn (1—3), Herz (4—6), und Nieren (8) sind jene Organe, an denen die Altersdegeneration der Arterienwand am frühesten auf- tritt und am stärksten bemerkbar wird. Durch die Verengung der Aderröhre wächst der Widerstand im Kreislauf, das Herz muss mehr Arbeit leisten und vergrössert sich (Herz- erweiterung) (5). Um das Blut durch die verengten Röhren zu treiben, erhöht sich die Spannung der Adern (Blutdruckerhöhung) (7). Um die Aderwand gegen den erhöhten Blutdruck und die hierdurch erhöhte Gefahr des Aderbruchs zu schützen, verstärkt der Körper die Wand——durch Kalk. Das ist die Arterienverkalkung. Nicht der Anfang, sondern das Ende des Krankheitsprozesses, nicht die Ursache, sondern die Folge der Aderdegeneration, nicht die Krankheit, sondern das Heilmittel des Körpers gegen die Krankheit. Der Kalk erscheint in mikroskopisch kleinen Körnern, diese setzen sich zu Platten zusammen (c), und in hochgradigen Fällen wird die ganze Wand zementiert, sodass der Mensch von seinen verkalkten Adern wie von einem Korallenbaum durchzogen wird, den man herauspräparieren und mit einem Hammer zerschlagen kann (d). Der Kalk schützt aber nicht nur, er reizt auch das Gewebe und regt neue Wucherungen an, sodass das Aderrohr sich oft ganz verschliesst, das Blut bildet an und unter den Platten Wirbel und wäscht die Aderwand aus, es staut sich in den Buchten, gerinnt und so kommt es zur Bildung der schon beschriebenen Blutgerinsel, der Thromben (1) und der durch Thromben

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Abb. 187 Die Arterienverkalkung. a—d Die Veränderungen der Aderwand im Lauf der Verkalkung. a) Geschwürbildung an der Ader Innenwand. b) Bindegewebswucherung. c) Kalkeinlagerung. d) Verkalkung und Verschluss der Ader. I—8 Die häufigsten Krankheitserscheinungen der Arterienverkalkung. 1. Hirnthrombose. 2. Hirnblutung. 3. Hirnembolie. 4. Aderbruch in Herznähe. 5. Herzerweiterung. 6. Bruch einer Kranzader des Herzens. 7. Blutdruckerhöhung. 8. Nierenschrumpfung. I—VII Die wichtigsten Heilmittel gegen die Arterienverkalkung. I. Baldrian: Beruhigung der Hirnzentren. II. Nitroglyzerin: Erweiterung der Kopfadern zur Ent- lastung des Herzens. III. Reizlose und eiweissarme Diät. IV. Jod: macht das Blut diinnflüssiger. V. Kalzium: wirkt krampflösend. VI. Hormone: regulieren auf noch unbekanntem Weg den Blut- druck. VII. Theobromin: erweitert die Nierenadern und erhöht die Wasserausscheidung. hervorgerufenen Aderschlüsse (Thrombosen). Reissen die Gerinsel ab, so werden sie durch den Blutstrom verschleppt und bleiben in Herz, Lunge oder Gehirn stecken als "Embolien" (3). Sind diese gross und verschliessen sie grössere Bezirke in lebens- wichtigen Organen, so geht der Mensch, zuweilen im Lauf von wenigen Sekunden, an Herz-, Hirn- oder Lungenembolie zugrunde. Ebenso häufig ist der Bruch der Ader trotz Wandverdickung und Wandverkalkung. Brüche der kleineren Adern merkt der Mensch kaum. In jedem gealterten Körper findet man die Spuren solcher Aderbrüche oft zu Tausenden in den Organen. Von den grösseren Arterien bersten meist entweder die grossen Arterien in der Nähe des Herzens (4) oder die Kranzgefässe, die das Herz ernähren (6) oder die Gehirnadern (2). Bruch der Herz- adern führt in wenigen Sekunden zu Herzlähmung durch den "Herzschlag", Bruch der Hirnadern zum "Schlaganfall", der "Apoplexie". Der Mensch fällt "vom Schlag ge- troffen" um. Es gibt zurzeit keine erfolgreichen Heilmittel oder Methoden gegen Aderverkramp- fung und Aderwand-Degeneration. Man gibt Beruhigungsmittel wie Baldrian (I), man gibt Kalk, der die Empfindlichkeit der Muskelfasern herabsetzt und so den Aderkrampf löst (V), man kann die zusammengekrampften Adern für einige Stunden durch Nitroglyzerin zur Erweiterung bringen und so Erleichterung schaffen (II), man kann durch Medika- mente wie das Theobromin die Nierenadern erweitern und die Flüssigkeitsausfuhr aus dem Körper erhöhen (VII). Sehr beliebt ist seit ältesten Zeiten das Jod, ohne dass wir bis heute wissen, wie es eigentlich wirkt (IV). Das Blut wird nach Jodzufuhr dünnflüssiger, das ist aber sicher nicht seine Hauptwirkung. In neuester Zeit hat man Stoffe, Hormone, entdeckt, die in den Organen erzeugt werden und den Blutdruck teils erhöhen, teils er- niedrigen (VI). Aber auch unter ihnen ist bis heute kein Stoff von radikaler Wirkung gefunden worden. Blutdruckerhöhung und Arterienverkalkung sind zwei der am wenigsten beeinflussbaren Krankheiten der Gegenwart. Es ist erstaunlich, wie gleichgültig die Mensch- heit sich gegenüber der Tatsache verhält, dass über die Hälfte aller Menschen jenseits der 40 vorzeitig an der Degeneration der Aderwände stirbt. Es ist durchaus die technische Möglichkeit gegeben, die Adern, ja sogar das ganze Herz, die Lungen, die Niere durch Appa- rate zu ersetzen. Die Staaten sollten gemeinsam ein Institut errichten, in dem befähigte Aerzte in Verbindung mit Ingenieuren das Problem bearbeiten, einen Apparat zu schaf- fen, der an den Blutkreislauf angeschlossen wird und die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren übernimmt, um das bei vielen Menschen überlastete Kreislaufsystem zu ent- lasten und so das Leben gerade jener Altersklassen und Menschen zu schützen, die in- folge ihrer Leistungen und Lebensreife für die Kultur der Zeit die wertvollsten sind, heute aber durch diese beiden Krankheiten vorzeitig ihren Berufen, ihren Familien und der Allgemeinheit entrissen werden.


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