Toleranz
Der Islam ist eine gefährliche Religion. Sonst würden unsere Eliten entschiedener dagegen antreten.
Von Roger Köppel
In den aktuellen Diskussionen um Minarette und Islam werden die Begriffe Toleranz und Respekt verwechselt. Oft ist von verärgerten Muslimen zu hören, die Kritiker der Minarette würden es am nötigen Respekt fehlen lassen. Die Schweiz, bisher bekannt für ihre grosse Toleranz, handle respektlos, wenn sie die Gebetstürme verbiete. Es wird, mit anderen Worten, aus dem Prinzip der Toleranz ein neues Grundrecht auf Respekt abgeleitet. Dieser Gedanke begegnet uns auch in anderen Diskussionen. Als ich einer Debatte über Rassismus in der Schweiz die Meinung einer Rassismusbeauftragten, es gebe immer mehr Rassismus bei uns, als «grossen Quatsch» bezeichnete, warf mir die Beauftragte «fehlenden Respekt vor anderen Meinungen» vor.
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Hier ist eine Klarstellung nötig. Toleranz ist die Bereitschaft, auf dem Boden einer verbindlichen Rechtsordnung andere Glaubensbekenntnisse zuzulassen, solange sie die Rechtsordnung nicht gefährden. Der Westen begann das Toleranzprinzip nicht auf Grund höherer Einsichten zu installieren, sondern dank einem geistigen Ermüdungsbruch nach dem Dreissigjährigen Krieg (16181648). Die konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Katholizismus und Protestantismus hatten zu gewaltigen Verwüstungen Europas geführt. Aus dem religiösen Fanatismus war keine stabile Ordnung abzuleiten. Die Kirche wurde in ihrem weltlichen Machtanspruch zurückgedrängt. Die Fürsten durften in ihren Territorien über die Konfession bestimmen (cuius regio, eius religio).
Es war die Absage an eine totalitäre Staatsauffassung, in der die Politik zur Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln wurde. Diese Trennung, die Europa unter grossem Leid zustande brachte, ist in den muslimischen Ländern weder vorhanden noch vorgesehen. Es ist denkbar, dass der Islam irgendwann einmal mit der weltlichen Kultur Europas vereinbar sein wird. Genauso wahrscheinlich aber bleibt bis auf weiteres das Gegenteil.
Toleranz setzt die Anerkennung einer politischen Ordnung voraus, die den religiösen Bürgerkrieg beendet. Wenn eine säkulare Kultur wie die christliche einer noch immer nach politischer Herrschaft strebenden Konfession wie der islamischen gegenübersteht, ergeben sich Unverträglichkeiten. Die Christen haben akzeptiert, dass ihre Werte und Traditionen indirekt das politische Leben und die Institutionen prägen, aber es gibt keine unerfüllte Sehnsucht nach politischer Machtergreifung mehr. Die Muslime hingegen haben bis heute den Verlust ihres Weltreichs nicht überwunden. Und der seit einigen Jahren immer militanter auftretende Islamismus ist der Phantomschmerz, den sie durch Ausdehnung, Unterwanderung und Eroberung heilen wollen. Die Tatsache, dass Christentum und Islam unversöhnliche politische Haltungen verkörpern, wiegt schwer. Beide Religionen stehen für Staatsideen, die sich wechselseitig ausschliessen. Der Toleranzbegriff verliert in dieser Gegenüberstellung seinen Sinn. Keine Ordnung kann tolerant sein gegenüber einer anderen, die ihr feindlich gegenübersteht. Der heutige Islam ist die politische Verneinung des säkularen Rechtsstaats. Die Muslime müssen ihren Glauben reformieren oder aufgeben, um im Westen wirklich anzukommen.
Das führt uns zum Begriff Respekt. Es gibt tatsächlich ein im Westen akzeptiertes Menschenrecht auf freie Rede. Wer immer etwas sagen will, soll sprechen. Dieses Recht gilt es zu respektieren und gegen alle Anfechtungen zu verteidigen. Das Menschenrecht auf freie Rede muss auch für Aussagen gelten, die unerwünscht bis hassenswert sind. Zensurbehörden, Wächterräte, politische Geschmacksrichter haben in einer offenen Gesellschaft nichts zu suchen. Man soll sagen dürfen, was man will. Aber: Niemand kann einen Anspruch darauf erheben, für den Unsinn, den er unter Umständen verbreitet, respektiert zu werden. Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist unbestritten. Den Respekt für die geäusserte Meinung aber muss man sich zuerst verdienen. Auch dies ist ein wichtiger Unterschied zwischen der christlich-abendländischen und der islamischen Kultur. Wir haben jahrhundertelang dafür gekämpft, dass die höchsten Autoritäten und Würdenträger öffentlich kritisiert und verspottet werden dürfen. Es gibt kein Recht auf Verschonung. Ansehen und Zustimmung sind keine natürlichen Gegebenheiten, sondern das Ergebnis von Leistungen, die im Wettbewerb immer wieder zu erbringen sind. Die voraussetzungslose Akzeptanz von Aussagen und Handlungen, seien sie noch so religiös, sind unserer Kultur wesensfremd.
Die Minarett-Diskussion zeigt, dass auch viele Schweizer Muslime nach wie vor ganz anders funktionieren. Sie verkraften es nicht, wenn ihre religiösen Praktiken nicht widerspruchsfrei hingenommen werden. Es genügt schon, die Möglichkeit eines Minarett-Verbots in Erwägung zu ziehen, um giftige Reaktionen auszulösen. Politische Plakate werden als Majestätsbeleidigung empfunden. Man fordert Respekt und verwahrt sich gegen die pointierte Darstellung von kritischen Gegenpositionen. Die aggressiv betonte Opferrolle soll die Kritiker lähmen und einschüchtern. Am Ende wird ein Klima der Befangenheit erzeugt, in dem eine offene Diskussion nicht mehr stattfindet.
Was wir in den zahlreichen TV-Debatten im Moment verfolgen können, sind die Allergien der Muslime gegen die direkte Demokratie. Die Entrüstung über die Plakate ist nur ein Vorwand, um den heiklen Fragen auszuweichen, eine Drohkulisse, die abschrecken soll. Darauf dürfen wir nicht einsteigen. Es ist vernünftig, hart und intensiv über eine Religion zu diskutieren, in deren Namen immer noch Staaten erobert, Frauen gesteinigt und Bomben geworfen werden.
Auch die Schweizer Wirtschaftsdachorganisation Economiesuisse spricht sich gegen Minarett-Verbote aus. Die Position ist vertretbar, das Argument dahinter beunruhigend. Man wolle, heisst es, das Image der Schweiz und ihrer Wirtschaft nicht gefährden. Toleranz, sagte Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer, gehöre zum Fundament unseres Landes. Bührer irrt. Toleranz ist wichtig, aber Toleranz aus Angst ist keine Toleranz, sondern Angst. Bührers Begründung veranschaulicht die Selbstzensur, der wir uns gegenüber dem Islam bereits heute unterwerfen. Wir geben Freiheiten auf, um Konflikten zu entgehen. Der Islam ist eine gefährliche Religion. Sonst würden unsere Eliten entschiedener dagegen antreten.